Ein immer wiederkehrendes Ärgernis beim Betrieb einer Musikwiedergabeanlage ist in der Regel schlecht aufgenommenes Quellmaterial (bzw. Aufnahmen, die einem aus diesen und jenen Gründen nicht zusagen). Jeder hat solche Platten im Schrank zu stehen und findet sich notgedrungen damit ab. Legt man sich dann "bessere" Komponenten zu, kann es passieren, daß "gute" Aufnahmen noch besser und "schlechte" Aufnahmen noch schlechter klingen.
Man tröstet sich damit (und es wird auch überall darauf hingewiesen), daß eine "bessere" Komponente die Aufnahmefehler deutlicher aufdeckt.
Folgten wir dieser Logik, so müßte eine richtige gute Anlage die "Aufnahmefehler" noch deutlicher machen und nahezu unerträglich werden lassen.
Und jetzt kommt die Überraschung: genau das Gegenteil ist der Fall!
Die schlichte und überaus beruhigende Wahrheit lautet: Bei einer richtig guten Anlage in entsprechender Umgebung klingt so gut wie alles gut.
Das hat jetzt nichts mit Schönfärberei oder Ähnlichem zu tun. Tatsache ist, daß das klangliche Potential, das in üblichen CDs steckt, auf den meisten Anlagen noch nicht einmal annähernd ausgeschöpft wird.
Selbstverständlich gibt es suboptimale Aufnahmen. Man kennt die "Bootleg"-Aufnahmen vom Krabbeltisch, wo prominente Künstler in ihrer Anfangszeit anscheinend mit einem Kassettenrekorder (oder später mit portablem DAT) unter vermutlich konspirativen Umständen oder einfach direkt vom Saalmixer live aufgenommen und dann Jahrzehnte später als Super-Billig-CD vermarktet wurden. Natürlich ist die Dynamik beschränkt, die Kanaltrennung bescheiden (manchmal sogar nicht vorhanden, d.h. Mono), die Frequenzbalance unausgewogen und so fort.
Nur: Die meisten Wiedergabeanlagen sind in ihrer Konfiguration und Umgebung eigentlich nicht wesentlich besser, so daß sich hier negative Eigenschaften addieren. Mit sehr guten Aufnahmen können nämlich auch Billigst-Anlagen oberflächlich "glänzen" (oder sagen wir lieber bluffen), das ist keine Kunst und das weiß natürlich jeder professionelle Verkäufer.
Hört man sich nun dieselben Billigaufnahmen über eine sehr gute Anlage (verfärbungsfrei und mit großem Dynamikvermögen) an, so wird die typische Live-Atmosphäre der frühen Jahre erstaunlich authentisch reproduziert (oder auf deutsch: man fällt fast vom Stuhl ob der nicht erwarteten Klangfülle und Dynamik).
Daher hier nebenbei unser Tip:
Wenn Sie Anlagen oder Komponenten testen wollen, nehmen Sie nicht Ihre Lieblings-CDs oder besonders gut aufgenommmene Quellen (frei nach dem Motto: "Da kann die Anlage mal zeigen, was sie kann."), sondern lieber besonders schlechte oder schwierige Aufnahmen (frei nach dem Motto: "Mal sehen, was sie nicht kann."). Einen chaotischen Klangbrei zu ordnen, um etwas Sinnvolles herauszudividieren, ist schwieriger als eine sowieso geordnete Situation noch geordneter erscheinen zu lassen.
Sprachverständlichkeit ist solch ein Härtetest. Nehmen Sie Aufnahmen, bei denen die gesungenen Texte (am besten Fremdsprache) auf Ihrer alten Anlage für Sie kaum zu verstehen sind und überprüfen Sie die neue Anlage oder Komponente auf bessere Verständlichkeit.
Bei einer neuen Anlage kommt man also nicht umhin, seine sämtliche Tonquellen alle noch einmal durchzuhören, speziell diejenigen, die bisher trotz guter Interpreten wegen ihrer Tonqualität ein Mauerblümchendasein in der hintersten Ecke des Plattenschrankes fristen mußten.
Bei einer guten Anlage sind Aufnahmefehler trotz genauerer Darstellung weniger lästig und daher erträglicher anzuhören.
Eine andere Situation stellt sich allerdings ein, wenn z.B. bei gesampelten oder elektronisch erzeugten "Musikinstrumenten" die Strukur und Substanz dem Hörer klarer dargestellt wird, als ihm selbst vermutlich lieb ist. Auf einer sehr guten Anlage klingen mit der Maus zusammengeklickte Musikstücke manchmal äußerst banal, was sonst auf mittelmäßigen Anlagen nicht weiter groß auffällt.
Wie sonst könnte man z.B. überhaupt auf die Idee kommen, daß z.B. ein von einer guten Kette gnadenlos beleuchtetes und in der impulsartig abgehackten Struktur aufgedecktes schlichtes "Bumm-Zisch" als sowas wie ein Schlagzeug zu interpretieren sei?
So kann sich durchaus bei einer besseren Anlage auch der eigene Musikgeschmack ändern bzw. weiterentwickeln. Je größer das spektrale Auflösungsvermögen und das dynamische Strukturierungsvermögen der Anlage, desto eher kommt beim Hörer der Wunsch nach ebenfalls komplexerem und damit anspruchsvollerem Musikmaterial auf.
In diesem Zusammenhang muß man dann auch die Frage nach neuen Quellenformaten wie SACD und DVD-Audio kritisch betrachten. Aus Hörersicht besteht eigentlich kein Bedarf an neuen Formaten, da das alte Format (44.1kHz,16Bit) bei den meisten Hörern noch nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft wird. Es wird niemand ernsthaft behaupten können, daß das CD-Format ein wie auch immer limitierender Faktor in seiner Kette sei.